KANN MAN DANN NOCH DARIN SURFEN ODER GEHT MAN UNTER – OB MAN WILL ODER NICHT ?

Wenn Medikamente nicht (richtig) helfen


Epileptische Anfälle werden heute immer noch überwiegend rein medikamentös behandelt.


Die ILAE (Internationale Liga Gegen Epilepsie) listet in einer Studie 36 Wirkstoffe gegen epileptische Anfälle auf. Diese sind weltweit in Tausenden von Medikamenten gegen Epilepsie enthalten.


Kaum bekannt ist jedoch, dass die Wirksamkeit nur für sehr wenige (5 der 36 gelisteten) Wirkstoffe wissenschaftlich (entsprechend Kriterien der ILAE) nachgewiesen ist.


Wenn aber die Wirksamkeit eines Teils der Medikamente fragwürdig ist, dann könnte das mit ein Grund dafür sein, dass bei 40%-50% der Betroffenen unter Medikamenten weiterhin Anfälle auftreten.


Wo die Medikamente nicht helfen, werden Betroffene von ihren Ärzten kaum über andere Methoden der Anfallsverhütung informiert und somit alleingelassen. Psychologische Selbstbehandlungs-Methoden und ihr wissenschaftlicher Hintergrund sind nach wie vor viel zu wenig bekannt. Warum? Weil die Meisten immer noch glauben, Epilepsien seien rein körperlich verursacht und deshalb nur körperlich zu behandeln. Dafür gibt es auch eine starke wirtschaftliche Lobby.


Nachfolgend erfahren Sie mehr zu diesem Thema.



2010 eine dreiviertel Milliarde Euro allein für Antiepileptika

Epileptische Anfälle werden fast ausschließlich medikamentös mit Antiepileptika behandelt. Im Jahr 2010 wurden hierfür in Deutschland von den gesetzlichen Krankenversicherungen fast eine dreiviertel Milliarde Euro ausgegeben (Schwabe und Paffrath, 2010). Und diese Ausgaben explodieren  :  2007 waren es noch eine halbe Milliarde Euro allein für Antiepileptika (Bundesministerium für Gesundheit, 2009). Das bedeutet einen Zuwachs um 50% in nur drei Jahren! Für diejenigen, die an dieser Kostenexplosion verdienen, ein Zuwachs wie bei einem Hedgefonds, aber mit viel geringerem Risiko.

Wie sieht es aber mit ihrer Wirksamkeit aus?

Die ILAE (Internationale Liga gegen Epilepsie) listet in einer Studie 36 Wirkstoffe gegen epileptische Anfälle auf. Diese sind weltweit in Tausenden von Medikamenten enthalten (http://www.ilae-epilepsy.org/Visitors/Centre/AEDs/index.cfm?search=1)

Wie sieht es aber mit der Wirksamkeit dieser Wirkstoffe aus? Die ILAE hat festgestellt, dass die wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweise nur für sehr wenige (5 von 36) der in Betracht gezogenen Wirkstoffe erbracht sind. Lediglich diese fünf Wirkstoffe werden als wirksam für die Erstbehandlung eingestuft. Einige weitere Wirkstoffe wurden von der ILAE als wahrscheinlich wirksam (1 von 36) oder möglicherweise wirksam (4 von 36) eingestuft. Die Unterscheidung zwischen „wirksam“, „wahrscheinlich wirksam“ oder „möglicherweise wirksam“ ist dadurch begründet, dass manche Wirksamkeitsstudien nicht strengen wissenschaftlichen Anforderungen genügen.

Bei 40%-50% der Betroffenen treten unter Medikamenten weiterhin Anfälle auf

Die Erfahrung vieler Betroffener zeigt, dass die Antiepileptika zweifellos ihre Wirksamkeit haben, denn ihre Anfälle gehen zurück oder hören ganz auf. Solange nicht zahlreiche Betroffene (d.h. mehr als bisher) weitere Behandlungsmethoden kennen lernen und positive Erfahrungen damit machen, bleiben die Medikamente derzeit der einzige Hauptpfeiler der Epilepsiebehandlung.

Die Antiepileptika sind allerdings nicht so wirksam, wie dies in Informationsmaterialien für Betroffene dargestellt wird und von Vielen auch geglaubt wird. Bei 40%-50% der Betroffenen treten weiterhin Anfälle auf, wenn auch vielleicht nicht mehr so viele (Schmidt, 2006).

Von denen, die unter Medikamenten anfallsfrei werden, bekommt rund die Hälfte nach Behandlungsende erneut Anfälle. (Schmid, 2006 S. 98). Die Deutsche Epilepsievereinigung kommt sogar zu dem Schluss, dass nur 25% der behandelten Patienten länger als drei Jahre anfallsfrei bleiben (http://www.epilepsie-berlin.de/aktuelle-Daten.60.0.html

Das hat Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen – zumal, wenn die weiterhin auftretenden Anfälle möglicherweise auch die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Anfälle erhöhen.

Über andere als medikamentöse und chirurgische Behandlungsmöglichkeiten erfährt man kaum etwas

Wenn die Anfälle trotz der Medikamenteneinnahme weiterhin auftreten, sehen sich die Betroffenen von der Medizin weitgehend allein gelassen. Da die Medikamente praktisch als die einzige Behandlungsmethode gelten, scheint es, wenn sie nicht helfen, kaum eine andere Behandlungsmöglichkeit zu geben (abgesehen von den operativen Behandlungsmöglichkeiten: der Vagusnervstimulation und der Operation am Gehirn).

Daher hört man von Ärzten kaum etwas darüber, ob es andere oder zusätzliche Behandlungsmöglichkeiten gibt und welche das sind. Am ehesten erfährt man noch etwas über die Methode des Neurofeedbacks. Das ist das Erlernen der willentlichen Beeinflussung bestimmter Erregungszustände des Gehirns im Vorfeld von Anfällen. Während des Trainings wird (ständig) ein EEG (Elektroenzephalogramm, Hirnstromkurve) abgeleitet, aus dessen Signalen Bilder errechnet werden, die auf einem Monitor sichtbar werden. Das Neurofeedback-Training erfordert teuere Apparate, die nicht überall zur Verfügung stehen.

Methoden, mit denen die Betroffenen selbst ihre Anfälle zu beeinflussen lernen

Das Neurofeedback ist eine der Methoden, mit denen die Betroffenen selbst auf die Anbahnung und den Verlauf ihrer Anfälle Einfluss nehmen lernen. Voraussetzung dafür ist, dass sie anhand einer Aura oder anderer Phänomene überhaupt erkennen lernen, wann sie handeln müssen. Abgesehen davon, dass die Methode als zeitaufwändig gilt, wird hier lediglich eine einzelne spezielle Wahrnehmungs- und Gestaltungsfähigkeit innerhalb eines engen Zeitfensters trainiert.

Es gibt jedoch ein viel größeres Spektrum an Wahrnehmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bei epileptischen Anfällen, für die im Übrigen keinerlei Apparaturen notwendig sind. Dieses Spektrum erstreckt sich von den anfallsbegünstigenden Bedingungen (die schon weit im Vorfeld der Anfälle zu wirken beginnen können) bis hin zu den Auswirkungen der Anfälle und den (lange nachwirkenden) Erwartungen und Lernprozessen, die für zukünftige Anfälle bedeutsam werden können. All diese Elemente können mit psychologischen Methoden der Anfallsverhütung verändert werden – je nachdem, was von dem einzelnen Betroffenen gewünscht wird oder für ihn sinnvoll ist.

Unsere Lernprozesse und die Leistungen unseres Gehirns sind seit langem Forschungsgegenstand der Psychologie und dieses Wissen wird längst in jeder psychologischen Beratung oder Unterstützung angewendet.

Daher gibt es auch für Epilepsie-Betroffene psychologische Alternativen, die sie mit und ohne medizinische Versorgung bei sich selbst anwenden können. Dazu zählen auch die Ansätze, die unter dem Begriff Anfallsselbstkontrolle seit Jahrzehnten erforscht werden und deren Wirksamkeit auch von medizinischer Seite anerkannt ist (z.B. Uhlmann, in Fröscher 2004).

Selber denken und entscheiden statt andere dies für sich tun zu lassen

Häufig geht es dabei darum, sich von gewissen Abhängigkeiten zu lösen, wie sie für das heutige Leben vieler Menschen so typisch sind. Es geht darum, in stärkerem Maß selbst über das eigene Leben zu bestimmen, anstatt sich durch andere Menschen, durch Situationen oder sogenannte Sachzwänge bestimmen zu lassen. Nicht zuletzt geht es um Selbstbestimmung im eigenen Hirn und im eigenen Denken. Denn das Gehirn ist auch dafür gemacht, selber zu denken statt andere für sich denken zu lassen.

Das ist natürlich keineswegs nur für Menschen mit Epilepsie ein lohnendes Ziel. Jedenfalls gibt es für die 40%-50% der Betroffenen, die trotz der Medikamenteneinnahme weiterhin epileptische Anfälle haben, die Möglichkeit, zusätzlich zur Medikation (wenn jemand es wünscht, auch nach dem Absetzen der Medikation) selbst in Sachen Anfallsverhütung kompetent zu werden.

Technik und Medizin: heilige Kühe. Wie lange noch?

Es ist sicher kein Zufall, dass durch unsere Medizin- und Technikgläubigkeit unsere Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf die medizinisch-technischen Methoden bei der Behandlung epileptischer Anfälle gerichtet ist, wodurch die Sicht auf psychologische Selbstbehandlungs-Methoden verstellt ist.

Daher sind sie immer noch viel zu wenig bekannt. Vorbehalte (bis hin zum Tabu) gegenüber allem, was mit „Psycho“ zu tun hat, verhindern gerade auch bei Epilepsie-Betroffenen, sich ein genaueres Bild jenseits von Vorurteilen und Denkschablonen zu machen. Nicht wenige denken auch, dass psychologische Methoden nur in Verbindung mit psychischen Problemen angebracht sind. Inzwischen gibt es ganze Teilgebiete der Medizin, bei denen psychologische Methoden konsequent in die Arbeit mit den verschiedensten körperlichen Problemen und Krankheiten integriert werden. Beispiele dafür sind die sogenannte Verhaltensmedizin und die Psychoneuroimmunologie.

Was für die Anwendung psychologischer Methoden der Anfallsverhütung spricht

Die psychologischen Methoden beruhen übrigens, nicht anders als die medizinischen Methoden, auf der konsequenten Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Arbeitsmodelle. Diese sind bestens fundiert und begründbar.

Ihre Anwendung zur Verhütung epileptischer Anfälle ist außerdem keineswegs so schwierig und langwierig, wie das öfters dargestellt wird. Unserer Erfahrung nach genügt bei unseren Epilepsie-KlientInnen meist ein auf die Verhütungsmaßnahmen zugeschnittenes Kurzzeit-Coaching.

Ein klarer Entschluss zur Eigeninitiative und ein gewisses Durchhaltevermögen sind allerdings immer erforderlich. Der Gewinn für diese Investition ist beträchtlich :   der betroffene Mensch kann jeglichen Erfolg bei der Anfallsverhütung sich selbst zuschreiben. Das ist die pure Kraftnahrung für das Selbstwertgefühl. Und  :  Es gibt natürlich auch keinerlei chemische Nebenwirkungen wie bei Medikamenten.

Die Nützlichkeit psychologischer Arbeit beschränkt sich außerdem auch keineswegs, wie oft fälschlicherweise angenommen wird, nur auf Menschen mit Problemen. Sondern sie eignen sich genauso für sogenannte normale Leute bzw. Menschen, an die hohe Anforderungen gestellt werden. So ist es z.B. fast zu einer Selbstverständlichkeit für Menschen in Spitzenpositionen geworden, sich durch psychologische Methoden und Coaches Unterstützung zu holen.

Es ist daher Zeit, dass die psychologischen Selbstbehandlungs-Methoden und ihr wissenschaftlicher Hintergrund auch einem breiten Kreis der von Epilepsie Betroffenen bekannt werden und von ihnen erprobt werden. Nur so ist es überhaupt möglich, mit diesen Methoden den Erfahrungsprozess zu machen, der Medikamenten längst zugestanden wird.

Lesen Sie mehr darüber, wie Lernprozesse eine wichtige Rolle dabei spielen, dass epileptische Anfälle chronisch werden können, auf unserer Seite „Epileptische Anfallsmuster werden gelernt“.

Über die Wirksamkeit der Anfallsmedikamente und die Mängel bei der wissenschaftlichen Prüfung ihrer Wirksamkeit erfahren Sie mehr auf unseren Seiten „Zur Wirksamkeit von Antiepileptika“ und „Wirksamkeitstests oft untauglich“.

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