KANN MAN DANN NOCH DARIN SURFEN ODER GEHT MAN UNTER – OB MAN WILL ODER NICHT ?

Am Rand der Bewusstlosigkeit


Dieser persönliche Erfahrungsbericht von uns zeigt :  man kann es lernen, große und kleine Anfälle selbst zu verhüten, sogar bei anfangs bis zu 30 Anfällen am Tag. Und :  Man kann ein Grand Mal sogar noch in letzter Sekunde verhindern!


Das Wissen darüber, dass Betroffene ihre Anfälle selbst stoppen bzw. verhüten können, ist immer noch viel zu wenig verbreitet. Dieser Bericht soll informieren und Mut machen.


Allein das Ergebnis unseres Selbstversuchs kann sich sehen lassen :   Vollständige Grand Mal Verhütung seit 2006, Reduktion der Anfallshäufigkeit (komplex-fokaler Anfälle) um 88%, Verkürzung der Anfallsdauer auf wenige Sekunden, Reduktion der Anfallssymptomatik auf ein völlig unauffälliges Ausmaß. Sich selbst helfen können in der Anfallssituation – da, wo Medikamente nichts nützen. All dies konstant seit 2006 !


Dies alles war möglich, obwohl die Anfälle längst chronisch geworden waren. Für einen Erfolg allerdings wesentlich sind Entschiedenheit, Beharrlichkeit und ein aktiver, konsequenter Einsatz für sich selbst.


Nachfolgend erfahren Sie mehr zu diesem Thema.



Ein Grand Mal kann man verhüten – und das sogar noch in letzter Sekunde!

Ich heiße Wolfgang Feil. Ich bin Diplom-Psychologe. Ärzte haben bei mir eine Epilepsie diagnostiziert. Auf dieser Website berichte ich über meine Erfahrungen mit meiner Epilepsie. Darüber hinaus berichten meine Frau (und Berufskollegin) Gabriele Hänsch und ich zusammen über unseren gemeinsamen Arbeitsansatz der psychologisch fundierten Anfallsverhütung bei Menschen mit den verschiedensten Formen von Epilepsie. Wir arbeiten seit vielen Jahren als Diplom-Psychologen in eigener Praxis zusammen. Meine Sichtweise („ich“) und unsere gemeinsame Sichtweise („wir“) kommen im Text nebeneinander vor und das ist auch so beabsichtigt, um die unterschiedlichen Perspektiven zu kennzeichnen.

Über die Stolpersteine und durch die Fallgruben der Epilepsie zur Anfallsverhütung. Das geht nicht ohne Umwege, Irrtümer und Tiefpunkte.

Hier geht es darum, wie ich selbst es lernte, Grand-Mal-Anfälle systematisch und vollständig aus eigener Kraft zu verhüten und komplex-fokale Anfälle innerhalb von Sekunden nach ihrem Beginn zu stoppen.

Beim Lesen mag es so erscheinen, als sei es sehr schwierig, so etwas hinzubekommen. Ich habe knapp 5 Monate dafür gebraucht – ist das kurz? Ist es lang? Das muss jeder selbst beurteilen. Wenn man schon längere Zeit mit Medikamenten ohne die gewünschte Wirkung herumexperimentiert hat, ist man wohl froh, wenn man überhaupt einen Erfolg erzielt.

Dies ist meine persönliche Darstellung. Mit persönlichen Mitteilungen geht man immer ein gewisses Risiko ein.

Von therapeutisch tätigen Menschen findet man eher selten genauere Schilderungen ihrer eigenen Problembewältigungen. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der ein Menschenbild vorherrscht, das perfektes Funktionieren und sich Präsentieren fordert und dies alles mit dem Innenleben eines permanenten Überfliegers. Vor solch einem Hintergrund werden die verschlungenen Wege durch den Dschungel persönlicher Gedanken, Gefühle, Ängste, Verzweiflung und andere Irrungen und Wirrungen während der Arbeit mit sich selbst möglicherweise als Schwäche ausgelegt. Irrtümlich wird immer noch geglaubt und erwartet, dass Therapeuten frei von sogenannten „menschlichen Schwächen“ zu sein hätten. Da ist es dann auch nicht leicht zu vermitteln, dass typischerweise gerade solche Umwege, Irrtümer und Tiefpunkte die entscheidenden Informationen für das Entwickeln von Lösungen liefern, die teilweise weit über das rein Persönliche hinausgehen. Die wirklich guten Therapeuten erproben ihre Therapiemethoden auch an sich selbst! Denn, wenn die Methoden etwas taugen, warum sollte man sie sich selbst vorenthalten?

Ein gutes Beispiel für die Schilderung persönlicher Entwicklungsprozesse eines Therapeuten sind übrigens die Bücher von Tilmann Moser, „Lehrjahre auf der Couch“ und „Kompass der Seele“.

Als Epilepsie-Betroffener habe ich mich hauptsächlich aus vier Gründen dazu entschieden, einen Teil meines eigenen Weges durch die Stolpersteine und Fallgruben der Epilepsie bis hin zu dem von mir gewünschten Erfolg hier zu beschreiben :  

  1. Das Wissen über die Tatsache, dass Anfallsverhütung und Anfallsstop mit psychologischen Mitteln möglich ist, ist immer noch erstaunlich wenig verbreitet. Sofern überhaupt darüber informiert wird, wird psychologische Anfallskontrolle nur mit wenigen Worten und im Vergleich zu medizinischen Maßnahmen eher wie eine Nebensache abgehandelt.

    Viele können mit dem Begriff Anfallsverhütung auch nichts rechtes anfangen bzw. sich nur wenig dazu vorstellen. Das zeigt beispielsweise eine Google Recherche mit dem Suchbegriff Anfallsverhütung. Als Ergebnis bekommt man gerade mal etwa Tausend Treffer. Zum Vergleich  :  Bei der Eingabe Anfälle erhält man rund eine Million Treffer, also tausendmal so viele. Anfallsverhütung scheint also praktisch kein Thema zu sein. Viel zu sehr wird immer noch die Epilepsie als etwas rein Medizinisches und auch nur medizinisch Behandelbares gesehen. Die meisten Menschen, darunter auch Ärzte, halten es schlicht für unmöglich, bei der Anfallsentstehung selbst aktiv eingreifen und etwas bewirken zu können.

    Man findet auch kaum Berichte darüber, wie dieser Prozess des Suchens und Findens bei einer erfolgreichen selbstbewirkten Anfallsverhütung abläuft. Berichte, wie dieser Prozess von innen betrachtet aussieht, z.B. was jemand erlebt, wenn er sich Schritt für Schritt aus eigener Kraft die Verhütung seiner Grand Mal Anfälle oder den Abbruch eines fokalen Anfalls im Anfangsstadium aneignet. Die nachfolgende Schilderung soll eine gewisse Vorstellung davon vermitteln. Sie soll auch verdeutlichen, wie wichtig es ist, die Wahrnehmung für die eigenen Anfallsabläufe und für bestimmte Elemente des Anfallsmusters zu schärfen, um zu einer individuell maßgeschneiderten Lösung zu finden. Nicht zuletzt soll gezeigt werden, wie wichtig dabei die eigene Intuition besonders in den kritischen Momenten ist und dass man diese nicht – wie dies üblicherweise getan wird – ignoriert. Auch wenn viele das nicht glauben :   Intuition hat  jeder Mensch, und dies natürlich auch in ganz alltäglichen Situationen.

  2. Erfolgreiche Therapiemethoden werden oft genug aus eigener Betroffenheit heraus entwickelt. Milton Ericksons Hypnotherapie und Charles Van Ripers Therapie des Stotterns sind nur zwei eindrucksvolle Beispiele dafür.

    Eigene Betroffenheit war auch für uns der Impuls. Die Grundlagen unserer Methode der Anfallsverhütung entstammen unserer Erfahrung mit diversen Psychotherapiemethoden. Konzeption und Inhalte sind das Resultat unserer persönlichen Erfahrungen mit der Epilepsie.

    Aus eigenem Erleben kennen wir sehr gut die speziellen Hürden und Erfordernisse im Umgang mit Anfällen. Unsere Klienten schätzen es auch, dass vieles von dem, was sie uns berichten, uns vertraut ist, und dass wir unsere Methoden nicht nur bei anderen, sondern auch an uns selbst erprobt haben.

  3. Dieser persönliche Bericht soll Mut machen, weil er zeigt, dass es auch unter erschwerten Bedingungen und auch wenn Medikamente bisher nicht das Gewünschte gebracht haben, möglich ist, ein Ergebnis zu erzielen, das sich sehen lässt :   Vollständige Grand Mal Verhütung seit 2006, Reduktion der Anfallshäufigkeit (kleine komplex-fokale Anfälle) um 88% (Stand : 31.03.2011), Verkürzung der Anfallsdauer auf wenige Sekunden, Reduktion der Anfallssymptomatik auf ein völlig unauffälliges Ausmaß. Sich selbst helfen können in der Anfallssituation – da, wo Medikamente nichts nützen. All dies konstant seit 2006 !

  4. Wir betrachten das bei mir weitere kurze Auftreten komplex-fokaler Anfälle keineswegs nur als lästige Residualsymptomatik einer vermutlich zugrundeliegenden organischen Disposition. Wir sehen sie viel eher als Anreiz „am Ball“ und damit  fit im Training der Bewusstheit zu bleiben und immer wieder neue therapeutisch wirksame Maßnahmen für unterschiedliche Anfallsmuster zu entwickeln. So besteht keinerlei Gefahr, dass unser höchst persönlicher Zugang zur Epilepsiebehandlung an Frische und Lebendigkeit verliert. Genau aus dieser Erfahrung heraus empfehlen wir unseren Klienten, auch, wenn nur noch selten oder gar keine Anfälle mehr auftreten, ein regelmäßiges Training bestimmter Elemente der Anfallsverhütung. Wir nennen dies „Feuerwehrübungen“.

Aus all dem wird bereits jetzt deutlich, dass die Anfallsverhütung mit psychologischen Methoden mehr Einsatzbereitschaft erfordert als lediglich Medikamente einzunehmen. Die gute Nachricht dazu ist  :  Wenn man die Hauptarbeit, die ganz am Anfang steht, hinter sich hat, geht die Anfallsverhütung zum eigenen Erstaunen rasch immer leichter und wird zur Alltagsroutine. Warum ist das so? Epileptische Anfälle sind ein machtvolles Geschehen. Wir greifen hier in etwas ein, was höchst unwillkürlich abläuft, im Fall wiederholter Anfälle gut eingeschliffen ist und damit jeder Veränderung einen Widerstand entgegenstellt. Den notwendigen Energieaufwand beim Erlernen der Anfallsverhütung kann man sich ähnlich vorstellen, wie beim Anfahren eines Autos. Die meiste Energie wird gleich zu Beginn benötigt, um diverse Widerstände (Reibung, Masseträgheit) zu überwinden. Wenn das Auto erst einmal rollt, wird für das Fahren vergleichsweise wenig Energie benötigt.

Die Voraussetzungen für meinen Erfolg :  „durchwachsen“

Einerseits hatte ich durch meine Kenntnis vieler psychotherapeutischer Ansätze, allen voran die Hypnotherapie, ein großes Methodenarsenal zur Verfügung, um mir selbst zu helfen.

Andererseits hielten wir (meine Frau und ich) eine erfolgreiche Grand-Mal-Verhütung in eigener Regie zunächst (wie wohl die meisten Menschen) überhaupt nicht für möglich. Anfangs kamen wir nicht auf die Idee so etwas anzustreben. Denn entsprechend der Sichtweise der behandelnden Fachärzte hielten wir den Eintritt eines Grand Mals für das Ergebnis eines unbeeinflussbaren rein neurophysiologischen Automatismus. Das bestätigte uns auch eine probeweise Google-Suche mit der Wortkombination Anfälle selbst verhüten. Das Thema schien es damals (2006) nicht zu geben. Und auch heute noch geht es in einer Flut von Informationen unter, die rein gar nichts mit selbstinitiierter Anfallsverhütung zu tun haben.

Zudem hatte ich mit meinen vielen komplex-fokalen Anfällen am Tag sehr schlechte Karten. Denn eine Behandlung hat umso weniger Erfolgsaussicht, je mehr Anfälle bereits aufgetreten sind. Gerade, wenn zu anfänglichen „kleinen“ komplex-fokalen Anfällen große Anfälle hinzukommen und die Behandlung nicht schon mit den ersten kleinen Anfällen begonnen worden ist, verschlechtern sich die Therapiechancen drastisch (z.B. Schmidt, 2006). Eine mittlerweile abgebrochene medikamentöse Behandlung begann erst nach dem vierten Grand-Mal-Anfall. Ab diesem Anfall traten nun auch „kleine Anfälle“ auf und zwar allmählich mit erschreckender Häufigkeit. Plötzlich waren es durchschnittlich über 16 Anfälle am Tag, das Maximum lag bei 30 Anfällen pro Tag. Wir haben später einer Forschungsstudie (Hauser et al. 1998) entnommen, dass mit dem dritten Anfall eine kritische Schwelle überschritten wird, wodurch das Risiko der Chronifizierung der Anfälle enorm ansteigt. Drei von vier Betroffenen entwickeln nach dem dritten Anfall eine Epilepsie, d.h. die Anfälle treten ab da chronisch auf (und zwar egal, ob ein hirnorganischer Befund vorliegt oder nicht).

Das Resultat unseres Anfallsverhütungsprogramms steht in einem ermutigenden Kontrast zu diesen schlechten Voraussetzungen  :  

  1. Man kann durch adäquates und konsequentes Eingreifen Grand-Mal-Anfälle systematisch und vollständig selbst verhüten.

  2. Man kann dies sogar dann, wenn die Anfälle medikamentenresistent geworden sind und die medizinische Prognose schlecht ist.

  3. Wir haben 5 Monate dazu gebraucht, weil wir nicht wussten, dass selbstinitiierte Grand-Mal-Verhütung überhaupt möglich ist. Wenn man weiß, dass es möglich ist, hat man bessere Voraussetzungen dafür, das Ziel schneller zu erreichen.

  4. Bessere Voraussetzungen hat man außerdem, wenn man Methoden kennt, die anderen bereits geholfen haben, und man diese lediglich noch auf die eigene Epilepsie „zuschneidern“ muss.

  5. Bessere Voraussetzungen hat man vor allem auch, wenn man weiß, dass Anfallsverhütung in Eigeninitiative schon vielen Betroffenen gelungen ist. Dass es darüber auch wissenschaftliche Studien gibt, die dies bestätigen und dass dies auch von Fachmedizinern anerkannt wird.

Mit der vollständigen Verhütung der Grand-Mal-Anfälle reduzierte sich gleichzeitig die Häufigkeit der restlichen Anfälle (kleine komplex-fokale Anfälle) um 88% :   von im Mittel 16 Anfällen pro Tag auf im Mittel 2 von mir bestens kontrollierte fokale Anfälle pro Tag. Damit kann ich leben und arbeiten, vor allem, weil der Abbruch der verbliebenen Anfälle fast immer bereits nach wenigen Sekunden und seit langem auch ohne großen Aufwand gelingt. Außenstehende bekommen davon nur noch in Ausnahmefällen ein wenig mit.

Die Experimentierphase

Meine Anfälle sind in einem sehr unterschiedlichen Tempo abgelaufen. Es waren komplex-fokale Anfälle und sekundär generalisierte Anfälle, die sich aus komplex-fokalen Anfällen heraus entwickelten. Die ersten fokalen Anfälle mündeten sofort in ein Grand Mal mit Bewusstlosigkeit und anschließender stundenlanger Regenerationsphase bestehend aus einer Terminalschlafphase und einem sehr langsamen Auftauchen aus dem Dämmerzustand. Bei einer Gelegenheit wäre ich beinahe durch eine Glasscheibe gestürzt – meine Frau, die meine hilflosen Bewegungen gerade noch rechtzeitig bemerkte (um Hilfe rufen konnte ich schon nicht mehr), machte buchstäblich einen Hechtsprung und konnte mich gerade noch im Fallen auffangen. Ein anderes Mal schlug ich böse mit dem Kopf auf, seitlich mit dem Gesicht nach unten auf einen lediglich mit einem Teppich bedeckten Steinboden. Es gab eine Blutlache und seither meldet mir mein Gleichgewichtsorgan häufig „Starker Seegang heute!“. In einer Seiltänzertruppe würden sie mich jetzt nicht mehr nehmen.

Von Anfang an versuchte ich Zeit zu gewinnen, um Hilfe zu holen oder mich in Sicherheit zu bringen. Sich selbst überlassen kann im Grand Mal-Anfall alles Mögliche passieren bis hin zum Ersticken, wenn man ungünstig liegt und die Bewusstlosigkeit länger anhält. Falls ein Status Epilepticus auftritt, sollte jemand einen Notarzt rufen können. Ebenso wichtig ist, dass man sich so hinlegen kann, dass man sich nicht verletzen kann. Diese Zeit zu bekommen – das war das erste, was ich mir konsequent erarbeitet habe.

Um noch einmal darauf zurückzukommen :   ich hatte nach Eintritt der Chronifizierung anfangs bis zu cirka 30 (!) fokale Anfälle am Tag (näheres dazu weiter unten). Genau konnte ich sie an solchen Tagen nicht zählen, da ich auch zwischen den Anfällen zu beeinträchtigt war. Auch an den Tagen, an denen es zu keiner sekundären Generalisierung kam, war ich, wenn die Anfälle sich häuften, oft über Stunden bis den ganzen Tag lang außer Gefecht gesetzt. Dies alles trotz korrekter Medikamenteneinnahme.

Ich hielt es zunächst sogar kaum für möglich, die Grand Mal-Anfälle wesentlich hinauszuzögern. Aber meine Notlage angesichts der vielen täglichen Anfälle verbunden mit dem hohem Generalisierungsrisiko brachte mich dazu, in der Anfangsphase der beginnenden Anfälle, d.h. während der anfangs sehr kurzen Auren, alle möglichen Einflussmöglichkeiten auszuprobieren. Es kam mir zunächst vor, wie ein schier hoffnungsloses „herumprobieren“ mit den verschiedensten Aktivitäten - mich scharf konzentrieren, Summen einer einfachen Melodie, Körperbewegungen u.v.m. - sprechen konnte ich immer schon ganz am Anfang nicht mehr. Hoffnungslos deswegen, weil ich es nicht für möglich hielt, ein Grand-Mal tatsächlich verhindern zu können, da ich den Anfallsverlauf auch angesichts der Heftigkeit der sich verschlimmernden Erscheinungen und der Schnelligkeit des Eintretens der Bewusstlosigkeit für einen unbeeinflussbaren Automatismus hielt. Und jedes Grand Mal, das dann eintrat, bestätigte mich in meiner pessimistischen Einschätzung.

Nach und nach bekam ich zwar den Eindruck, dass meine Gestaltungsversuche die fokalen Anfälle etwas verkürzten, vorausgesetzt, dass sie nicht generalisierten. Aber in den Fällen, wenn sich der fokale Anfall trotz meiner Maßnahmen zunehmend verschlimmerte, obwohl ich meine gesamte Willensstärke einsetzte und mich innerlich bis zur Verzweiflung dagegen zur Wehr setzte, gelang es mir dennoch nicht, das dann eintretende Grand Mal zu verhindern. In der Erinnerung sind das fürchterliche Augenblicke, bis das Bewusstsein aussetzte.

Trotzdem – es kam mir wie ein Wunder vor :   nach und nach gelang es mir, immer mehr Zeit zu gewinnen, so dass ich Hilfe holen oder/und mich in Sicherheit bringen konnte.  Meine selbst gelernte Fähigkeit, das sich entwickelnde Grand Mal so lange hinauszuzögern, erlebte ich bereits als enormen Fortschritt! Ich habe mich seither – abgesehen von den Verletzungen im Mund durch die Bisse im Krampf - nie mehr in einem Anfall ernsthaft verletzt!

Wie hatte ich das erreicht? Meine Frau und ich hatten allmählich eine gewisse Systematik in meine „Experimente“ gebracht, indem wir konsequent psychologische Methoden anwandten, die uns von unserer Arbeit mit Klienten her bestens vertraut sind.

Einige Zeit später entdeckten wir in der Fachliteratur, dass wir uns mit unserem Vorgehen intuitiv gängigen neurophysiologischen Vorstellungen über das Anfallsgeschehen angenähert haben. In diesen wird die Hypothese vertreten, dass Hirnzellen, die zu epileptischer Aktivität neigen (sogenannte Pacemaker-Zellen), andere Zellen zur gleichen Aktivität „rekrutieren“, wodurch sich der Anfall im Gehirn ausbreitet. Wir sehen es so, dass die Nachbarzellen durch unsere Methoden gezielt beschäftigt werden, so dass sie für eine solche Rekrutierung nicht mehr zur Verfügung stehen.

Und eines Tages gelang mir überraschend das, was mir anfangs unmöglich zu sein schien! Man kann Grand-Mal-Anfälle sogar verhüten!

Und je öfter das gelingt, desto günstiger wirkt sich das auf die Anfallshäufigkeit aus, und zwar so, dass die Häufigkeit aller fokalen Anfälle (die ohne und die mit Grand Mal) nach und nach reduziert wird. Nachdem es mir – wie nachfolgend berichtet wird – gelang, Grand Mal-Anfälle zu verhüten, ging die Anfallshäufigkeit massiv zurück. Die anfänglich im Mittel 16 Anfälle pro Tag gingen auf gegenwärtig im Mittel 2 Anfälle pro Tag zurück. Und diese kann ich innerhalb von Sekunden abbrechen. Also nochmals ein gewaltiger Fortschritt!

Unsere Erfahrungen auch mit unseren Epilepsie-Klienten zeigen :   Es gibt hier unglaubliche Einflussmöglichkeiten. Sie sind möglich, weil wir einen freien Willen haben und es lernen können, auch unter schwierigsten Bedingungen unseren Aufmerksamkeitsfokus in eine gewünschte Richtung zu lenken. Dass solche Lernprozesse grundsätzlich möglich sind, dafür sprechen zahllose Hinweise darauf, dass es eine Anfallsbahnung, ein „Anfallslernen“ gibt. Das bedeutet, dass es auch die Möglichkeit gibt, das Gelernte wieder zu verlernen bzw. es durch etwas sinnvolles oder erwünschtes Neues zu ersetzen. Ein systematisches psychologisch geschicktes Vorgehen und die genaue Anpassung an individuelle Erfordernisse sind allerdings dabei unverzichtbar.

Was wir für „die“ Wirklichkeit halten ist nur ein Kino in unserem Kopf

Ob wir „wirklich“ in eine Zitrone beißen oder uns das nur „wirklich genug“ vorstellen – dem Gehirn ist das egal. Es macht nicht den geringsten Unterschied zwischen dem, was wir für die „Wirklichkeit“ halten und dem, was wir uns „nur“ vorstellen. Traumatisierte Menschen und Phobiker erleben das in drastischer Weise. Drücken Sie mal einem Spinnenphobiker eine behaarte Plastikspinne in die Hand – oder machen Sie es besser nicht! Denn sicher wollen Sie doch keinen entsetzten, schreienden Menschen davonlaufen sehen, der hernach eine Stinkwut auf Sie hat. Und sicher ist auch schon der „Coolste“ erschrocken, wenn er nach dem Horrorfilm allein und im Dunkeln einen Schatten auf sich zu huschen gesehen hat. Bei epileptischen Anfällen ist das keineswegs anders. Sie sind einfach eine sehr starke Aktivität unseres Denkorgans, das uns eine „Wirklichkeit“ zeigt, die jeden Menschen aus der Gemütlichkeit des alltäglichen Wirklichkeitserlebens herauskatapultieren würde. Diejenigen Menschen, die die „wirklich echte Wirklichkeit“ hinter allem Schein kennen, sind wahrscheinlich auch diejenigen, die einen 100-Euroschein lediglich für bedrucktes Papier halten ;–)) Einige ewig gestrige Wissenschaftler gehören auch dazu.

Wie fängt ein fokaler Anfall bei mir an? Wie kann ich das schildern? Für vieles fehlen einfach Worte. Der Anfang ist ähnlich, wie ein Zustand, den wohl jeder kennt. Stellen Sie sich vor, Sie machen eine wichtige Tätigkeit oder sind in eine bestimmte Sache vertieft, die Sie „ganz gefangen“ hält. Das, was Sie machen, machen Sie hoch konzentriert. Die Welt um Sie herum ist kaum mehr vorhanden. Nun sagt plötzlich jemand etwas zu Ihnen, z.B. „Der Paketbote ist an der Tür – könntest Du bitte hingehen“? Dann kann es sein, dass Sie es zwar wie von weit weg hören, aber den Inhalt oder die Bedeutung nicht verstehen, ganz einfach, weil Sie geistig ganz woanders sind. Erst wenn der andere auf dem, was er sagen möchte, insistiert und es wiederholt, verstehen Sie, was er sagt und können handeln.

Nun – wie würden Sie es finden, wenn bei Ihnen völlig unvorhersehbar ein derartiger Zustand auftritt, ohne, dass Sie auf eine bestimmte Sache konzentriert sind? Blitzartig sind Sie mit einem Etwas konfrontiert, das Ihre gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie können dieses Etwas nicht benennen und es gibt auch kein Wort dafür.

Und dieses Etwas ist ungeheuer machtvoll. Sie geraten in einen Sog, der Sie hineinreißt in den Strudel eines Erlebens, das Menschen mit epileptischen Anfällen sehr unterschiedlich schildern. Ich kenne keine beeindruckendere Beschreibung, als die von Dostojewski. Er erlebte die Phase unmittelbar vor Eintritt eines Grand Mals vermutlich als Ekstase, als „höchste Lebenssynthese“ (und zwar ausdrücklich und auf gar keinen Fall vergleichbar mit einem Haschisch-, Opium- oder Alkoholrausch). In seinem Roman „Der Idiot“ schildert er die epileptischen Anfälle der Hauptperson, des Fürsten Myschkin, als Zustand, in der „das Gehirn sich blitzartig entzündet … und das Lebensgefühl, das Bewusstsein der eigenen Existenz sich gleichsam verzehnfacht“. Was Dostojewski wohl gemäß dieser Beschreibung erlebte, war „ein außerordentlicher Aufschwung des Selbstbewusstseins“, „ein zu höchster Unmittelbarkeit gesteigertes Existenzgefühl“, als Augenblick, der „ein Leben wert“ ist (Dostojewski, 1868-69).

Mein Erleben eines fokalen Anfalls ist eher das Erleben einer Schreckensfahrt, eines Horrortrips, der im Nichts endet. Währenddessen bricht meine gesamte Wirklichkeitskonstruktion nach und nach zusammen. Mit Wirklichkeitskonstruktion meine ich, wie oben skizziert, das, was wir Menschen uns in unseren Köpfen zusammenbasteln und was wir für „die“ absolute, von uns unabhängig existierende, „tatsächliche, echte, reale“ Wirklichkeit halten.

Mancher Leser wird über diesen Begriff „Wirklichkeitskonstruktion“ vielleicht stolpern. Der Begriff ist nicht von mir, sondern er stammt aus der Wirklichkeitsforschung („Konstruktivismus“). Er trägt der Tatsache Rechnung, dass alles, was wir als Wirklichkeit (Wahrheit) erleben, ausnahmslos lediglich eine von uns beobachtete Wirklichkeit ist, die wir aus den unzähligen Eindrücken unserer 5 Sinne und unserem Denken, Fühlen und Handeln in jedem Moment unseres Lebens pausenlos aufs Neue erzeugen (konstruieren). Diese Erkenntnis ist keineswegs nur für Wissenschaftler von Bedeutung. Wenn man sie im praktischen Leben umsetzt, hat sie eine enorme positive Wirkkraft, z.B. wenn es darum geht, dass Menschen mit den unterschiedlichsten Denkweisen, Meinungen, Überzeugungen, Urteilen, Gefühlen und kulturellen Hintergründen miteinander zurechtkommen anstatt sich zu bekriegen. Wer seine (zwangsläufig subjektive) beobachtete Wirklichkeit zur absoluten (für andere oder gar alle Menschen geltenden) Wirklichkeit erklärt, setzt sich über die Wirklichkeiten Anderer hinweg. Er läuft Gefahr, die Anderen mit dem, was er für wirklich bzw. wahr hält, zu terrorisieren. Spätestens, wenn man als Psychologe z.B. mit zerstrittenen Paaren arbeitet, kommt man an konstruktivistischem Denken nicht vorbei, wenn für alle Beteiligten etwas Gewünschtes herauskommen soll.

Aus der Distanz heraus gesehen kann das Erleben einer epileptischen Wirklichkeits-Zerstörung erstaunlicherweise auch eine sehr aufschlussreiche und bereichernde Erfahrung sein, wenn man sie als solche nützt. Ich jedenfalls möchte sie aus verschiedenen Gründen keineswegs missen. Darüber einige Sätze weiter unten. Mittendrin im Erleben ist das Ganze allerdings nur fürchterlich. Im Folgenden versuche ich das zu beschreiben.

Der Sog

Der Sog zieht meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Das Wort „wie weggetreten“ passt gerade noch für den Beginn. Die Welt um mich herum wird unwirklich. Menschen, die auf mich zukommen oder mit mir sprechen, scheinen aus anderen Räumen oder vielmehr aus so etwas wie Raumblasen zu kommen und in meinen Raum bzw. meine Raumblase einzudringen. In diesem Moment nehme ich manche Merkmale dieser Menschen (Augen, Nase, Mund) überscharf wahr und die Menschen leuchten regelrecht auf, die Farben bekommen eine Leuchtkraft fast wie Spektralfarben.

Ich höre Echos kurzer Sequenzen von Gesprächen, die teils Stunden zurückliegen. Eine zeitlang war es immer die gleiche Sequenz, wie von einem Tonband, die Sequenz konnte ich jedoch nicht verstehen. Ich höre das, was jemand laut sagt, kaum noch und, schlimmer noch, ich verstehe es auch nicht mehr. Ich verstehe auch das nicht mehr, was ich selber sage. Wenn ich gerade in einem Gespräch bin, dann schauen mich die Leute entgeistert an. Man berichtet mir hinterher, der angefangene Satz geht unmittelbar in einen Wort-, Silben- und Laute-Salat über. Kein Kabarettist könnte dies wohl so hinkriegen! Hinterher stellt sich bei meinen Rückfragen heraus, dass ich die Außenwelt kurzzeitig nicht mehr wahrgenommen habe.

Danach bin ich erstmal desorientiert, versuche natürlich, mich verständlich zu machen, was aber zunächst nicht gelingt. Manchmal fühle ich mich länger beeinträchtigt, benebelt, schwindelig, wie unter Einfluss einer Droge. Dann steigt das Risiko für weitere Anfälle.

Heute habe ich es gelernt, meine fokalen Anfälle innerhalb von Sekunden nach ihrem Beginn zu beenden, so dass diese Ausfälle von Anderen allenfalls noch als Stocken, Versprecher oder kurze Sprech- oder Denkpause wahrgenommen werden, jedenfalls nicht mehr als Zeichen eines epileptischen Anfalls.

Es gibt ein Bild, das mich spontan immer wieder an die Auren vor den Grand Mals erinnert. Meine Frau hat es gemalt. Das war lange Zeit bevor meine epileptischen Anfälle chronisch wurden, bevor also die „eigentliche“ Epilepsie begann.

Aquarell<b> : </b>Die dunkle Wolke

Gabriele Hänsch : „Die dunkle Wolke“, 1992 Aquarell 32 x 24 cm

Die Verschlimmerung

Die nun folgenden Erlebnisse gehören Gott sei Dank der Vergangenheit an. Sie sind aber in mir noch so lebendig, als sei alles erst gestern gewesen. Daher beschreibe ich es in genau der Unmittelbarkeit, die dieses Erleben auch heute noch in mir hat.

Manchmal geschieht es, dass sich dieser Zustand des „Sogs“ rasch verschlimmert! Ein unbeschreibliches Chaos entsteht dann in meinem Kopf. Gleichzeitig verschwindet die Welt um mich herum endgültig in einem diesigen Graubraun. Lautes unverständliches Stimmengewirr, chaotisch wie in einem Dampfradio früherer Zeiten, wenn eine Vielzahl von Sendern zusammen einen „Wellensalat“ ergab. Andere nicht beschreibbare Geräusche kommen noch hinzu – alles ist sehr laut.

Für mich ist es entsetzlich, in diesen Situationen den rasch fortschreitenden Verlust meiner geistigen Fähigkeiten erleben zu müssen, den Verlust meiner Kontrolle über Wahrnehmung, Denken, Bewusstheit, mein Erleben insgesamt. Ich kämpfe verzweifelt gegen den Sog an, indem ich versuche, irgendeinen klaren Gedanken zu bekommen, mich nochmals auf irgendetwas fokussieren zu können. Es muss doch irgendwie aufzuhalten sein, ich will es auf gar keinen Fall zum Grand Mal-Anfall kommen lassen!

Sogar in diesem Zustand gibt es noch meinen inneren Beobachter, der alles registriert, und zwar jetzt kurz vor Eintritt des Grand Mal im Zeitlupentempo. Der innere Film läuft jetzt ganz langsam. Der innere Beobachter registriert alles bis zum Schluss. Es gibt außerdem noch eine Art inneren Alarmmelder. Er weiß, wie schlimm das Geschehen ist, und dass Gefahr droht. Es handelt sich schließlich nicht um eine von einem Anästhesisten überwachte Narkose. Er registriert noch am Rand des Bewusstseins, dass Gehirn und Körper bis auf das Äußerste belastet werden und dass der Ausgang ungewiss ist. Er meldet ununterbrochen höchste Alarmstufe.

Mein Entsetzen über dieses Erleben, die Verschlimmerung, die Unfähigkeit, Einfluss zu nehmen, das Gefühl des Ausgeliefertseins an dieses von mir als unkontrollierbar wahrgenommene Geschehen, mein Gefühl für die Gefahr und für den ungewissen Ausgang - das sind bleibende Erinnerungen an die generalisierten Anfälle, und solche Erinnerungen der Angst sind, wenn sie unbearbeitet bleiben, ein guter Nährboden für zukünftige Grand Mal-Anfälle. Dieser Angst liegt wohl letztlich die Angst davor zugrunde, dass ich mit einer irreversiblen Hirnschädigung oder überhaupt nicht mehr zurückkomme.

Ein solches Anfallsgeschehen kann abgebrochen werden – sogar noch in letzter Sekunde

Der Tag, an dem die Wende stattfand

Knapp 5 Monate nach dem Beginn der täglichen komplex-fokalen Anfälle wandte ich unsere hypnotherapeutischen Methoden wieder einmal während eines Anfalls an, der sich so verschlimmerte, wie soeben beschrieben.

In den Wochen davor hatte ich das von uns entwickelte Programm Tag für Tag x-mal geübt, so dass es mir praktisch automatisch zur Verfügung stand. Für jede Phase des Anfallsablaufs hatte ich spezielle Aktionen, die darauf abzielten, mich „am Laufen“ zu halten, das Gehirn und den ganzen Körper.

Die Methoden, zu Beginn über den visuellen Kanal mit starken, einfachen Vorstellungen den Halluzinationen zu entkommen und dann über den akustischen Kanal das Stimmenchaos zu „übertönen“ reichten diesmal aber nicht aus. Es riss mich, wie so oft, hinab in den Strudel. Aber an diesem Tag „stand etwas in mir auf“, sodass ich mich nicht hinlegen und das Grand Mal über mich ergehen lassen wollte. Meine Entschlossenheit war derart stark, dass sie weiter wirkte, obwohl die Welt um mich herum bereits versank.

In der Schlussphase (wo normalerweise der Film reißt) spielte sich nun das ab, was für mich zum Durchbruch beim  Erlernen der Verhütung von Grand-Mal-Anfällen wurde. In meiner Erinnerung ist dies alles wie im Zeitlupentempo geschehen.

Am Rand der Bewusstlosigkeit, inmitten des Chaos, bekam ich plötzlich so etwas wie eine Ahnung, dass ich mich bewegen muss. Es war eher wie eine wortlose innere Stimme, die durch den Lärm zu mir drang. Sie will, dass ich endlich die Bewegungen mache, die ich so lange eingeübt habe, sehr einfache, kraftvolle Bewegungen des afrikanischen Tanzes. Ich will das unbedingt tun! Es ist von verzweifelter Wichtigkeit dass ich mich bewege! Ich nehme alle meine Kräfte zusammen, um wenigstens irgendetwas zu tun. Aber es ist wie in manchen Träumen - ich komme mir wie gelähmt vor. Ich versuche mit allergrößter Anstrengung, die eingeübte Bewegung zu machen. Das ist kein körperlicher Kraftaufwand. Es ist ein Kraftaufwand, der mit dem Geist geleistet werden muß. Es ist so, als müsste ich in einer lebensbedrohlichen Situation mit der Kraft meiner Gedanken einen Felsen wegbewegen, um den Weg frei zu räumen. Die Zeit ist nun stehen geblieben. In meiner Erinnerung dauert meine Anstrengung sehr lang. Nach einer Ewigkeit spüre ich, dass ich tatsächlich tanze. Ich höre mich selbst dabei eine bestimmte Melodie summen, die für mich eine wichtige Bedeutung hat. Allmählich bekomme ich mit, dass ich mich aus der Gefahrenzone wegbewegt habe. Ich erinnere mich nicht an die einzelnen Phasen des Auftauchens, des Wachwerdens. Nach diesem Stück beinharter Arbeit war ich, wenn auch noch lange Zeit benommen, wieder da.

Nachträglich ist etwas in mir noch erschrocken über das, was ich da getan habe. Ich hatte es nach Monaten wieder riskiert, auf den Boden zu stürzen, weil ich mich nicht vorsorglich hingelegt hatte. Ein so komplizierter Bewegungsablauf, wie sich auf den Boden zu legen, ist im späten Stadium, selbst wenn man noch bewusst ist, kaum noch möglich. Wenn ich bewusstlos geworden wäre, hätte ich mich übel verletzen können! Andererseits hat dieses Handeln bei mir den Durchbruch ermöglicht :  ich habe nun etliche Jahre (seit Herbst 2006) mit meiner Methode der Anfallsverhütung keinen einzigen Grand-Mal-Anfall mehr gehabt. Und ich habe auch keine Angst mehr davor.

An dieser Stelle möchten wir noch einmal zur Ermutigung in Erinnerung bringen :  Der Anfang kann schwer sein, allerdings nur der Anfang. Wie meine Frau und ich auch aus der Arbeit mit unseren Klienten wissen, wird es nach den ersten Erfolgen sehr schnell sehr viel leichter! Behauptungen, die psychologisch-psychotherapeutische Arbeit mit Epilepsie sei immer ein langwieriges und schwieriges Geschäft, stimmen jedenfalls so pauschal nicht. Ein klarer Entschluss zur Eigeninitiative und ein gewisses Durchhaltevermögen sind allerdings immer erforderlich. Unsere Erfahrungen zeigen, dass ein kurztherapeutisches Vorgehen durchaus möglich ist, da unsere Klienten vieles auch in eigener Regie für sich tun können.

Alles in allem erlebte ich in meinen Grand Mal-Anfällen, wie alle die sogenannten „höheren“ Fähigkeiten schrittweise verloren gehen, zuerst die Fähigkeit, auf „höherer“ kognitiver Ebene die Aufmerksamkeit zu fokussieren, dann die Fähigkeit, zu sprechen, geordnet zu denken, das Alltagskino (siehe dazu oben unseren kleinen Exkurs über die Wirklichkeitskonstruktionen von uns Menschen) zu produzieren, d.h. „normal“ zu sehen, hören oder riechen, sich in Raum und Zeit zu orientieren. Dann bricht praktisch der gesamte Kontakt zur Außenwelt ab.

Als ich, wie berichtet, ein Grand Mal zum ersten Mal verhüten konnte, befand ich mich nach dem Zusammenbruch der „höheren“ Fähigkeiten in einer Wirklichkeit, in der eine innere Kommunikation jenseits jeglicher Worte stattfindet. Ganz instinktiv, ohne den Umweg über die Vernunft, ist auf einmal völlig klar, was zu tun ist. Ein enormes Potenzial kommt hier zum Vorschein. Es verleiht uns Fähigkeiten wie etwas von tief innen zu erfühlen, wortlos und glasklar zu verstehen. Ebenso Fähigkeiten wie diejenigen, sich mit äußerster Kraft einzusetzen (geistig wie körperlich), etwas trotz extremer Schwierigkeiten durchzusetzen, unbeugsam etwas zu verfolgen, was man als richtig und wichtig erkannt hat. Im Kern enthält dieses Potenzial auch einen zähen Willen, die eigene Autonomie aufrecht zu erhalten und zu überleben.

Das sind genau diejenigen Fähigkeiten, mit denen wir Menschen Dinge bewirken können, die wir mit dem sogenannten „gesunden“ Menschverstand nicht erklären können. Da heißt es dann hinterher „das war übermenschlich“ oder „das ist doch eigentlich nicht möglich“ (vielleicht sogar „physikalisch nicht möglich“) oder „das kann nur eine Zeitungsente sein“ oder „das ist ein Wunder“.

Nachträglich neigen wir Menschen bei solchen Geschehnissen dazu, entweder diese möglichst schnell wieder zu vergessen (verdrängen) oder irgendeine „rationale“ Erklärung dafür an den Haaren herbeizuziehen. Sie sind uns unbequem, wohl weil sie uns aus unserem gewohnten Denken und Wirklichkeitserleben herauszureißen drohen und weil man z.B. auf die Idee kommen könnte, dass man sein Leben noch ganz anders leben könnte.

Dieses Potenzial, mit dem wir solche Dinge bewirken können, wird übrigens bei jedem Menschen, wenn er heranwächst und auch im späteren Leben noch oft genug, von Eltern, Lehrern, Gleichaltrigen, den Medien und vielen anderen „Autoritäten“ als unwichtig, als bloße Phantasie oder Einbildung oder als „Primitivfunktion“ abgewertet. Die Folge ist, dass wir unser Potenzial früher oder später ganz einfach nicht mehr wahrnehmen. Deswegen steht es uns auch im gewöhnlichen Alltag kaum zur Verfügung. Ohne dieses Potenzial kann es für uns Menschen aber keine Freiheit, kein selbstbestimmtes Leben, keine Autonomie geben. Das Abwerten und Vergessen unseres Potenzials dient dem Zweck, uns gefügig zu machen und Kontrolle über uns ausüben zu können.

Für uns, mich und meine Frau, war dieser Tag, an dem zum ersten Mal der Abbruch eines im Entstehen begriffenen Grand Mals gelang, ein wahrer Festtag. Erst mit diesem Akt der Selbstbefreiung habe ich für mich erreicht, dass ich meinen Beruf weiterhin so wie vor Beginn der Anfälle ausüben kann. Zuvor war das wegen der vielen Anfälle nicht mehr möglich gewesen.

In der Zeit danach konnte ich bei weiteren fokalen Anfällen, auch in den Fällen, wenn sie sich zunehmend verschlimmerten, den Eintritt von Grand Mals jedes Mal zuverlässig verhindern. Es war, wie mit dem Schwimmen lernen. Ich hatte es mit Hilfe meines Freundes gelernt. Zuvor war ich immer sofort untergegangen, wenn ich Schwimmversuche machte. Mit Hilfe des Freundes konnte ich die ersten Schwimmzüge machen, ohne unterzugehen. Danach konnte ich es für immer.

Für uns als Psychologen war es eine Selbstverständlichkeit, aus dem Erreichten ein systematisches Handeln zu entwickeln, das in zukünftigen Situationen als zuverlässige Strategie der Grand Mal-Verhütung wirken sollte. Unser Ziel war, dass das „Ich weiß, dass ich meine Grand Mals selbst verhüten kann“ so selbstverständlich werden sollte wie z.B. das „Ich weiß, dass ich auch bei Dunkelheit in meiner Wohnung einen Lichtschalter finden kann“.

Es muss gar nicht erst zum Anfall kommen

Unsere Arbeitsmethodik beschränkt sich keineswegs nur auf den Abbruch eines im Entstehen begriffenen Anfalls. Da wir auch systemtherapeutische Ansätze in unsere Arbeit integrieren, ist es für uns – und ganz besonders für den Erfolg bei einigen unserer Klienten – wichtig, auch die Umstände rund um die Anfälle zu berücksichtigen. Hierbei geht es um eine Erweiterung des methodischen Vorgehens, nämlich darum, die Verhütung von Anfällen bereits im Vorfeld ihres Entstehens möglich zu machen. Bei manchen unserer Klienten hat sich gerade das als wichtiges Arbeitsziel herausgestellt. Bestimmte Situationen, andere Menschen und auch die eigene Befindlichkeit können eine wichtige Auslösefunktion im Sinne einer Risikoerhöhung für die Anfälle bekommen. Wenn man seine Auslöser kennt, dann kann man dieses Wissen jedoch auch nutzen, um gezielt eine Risikoverminderung herbeizuführen. Wenn, um ein einfaches Beispiel zu nennen, z.B. das laute Geräusch der elektrischen Zahnbürste tendenziell Anfälle auslöst, dann kann man erreichen, dass dieses Geräusch seine Auslöserwirkung verliert. Natürlich muß jeder Betroffene erst einmal seine Auslöser und dann die für ihn passenden Lösungsstrategien finden. Nicht immer ist das so einfach und oft sind Betroffene zunächst felsenfest davon überzeugt, dass es bei ihnen keine Auslöser gibt, sondern dass ihre Anfälle eine rein körperliche Angelegenheit sind, völlig zufällig auftreten und sofort generalisieren. Unsere Beobachtungen zeigen uns jedoch immer wieder, dass die Klienten mit zunehmend geschärfter Wahrnehmung auf einmal Signale entdecken und Abläufe und Zusammenhänge erkennen, die ihnen zuvor einfach entgangen waren, weil sie dies gar nicht für möglich hielten.

Aber das ist uns auch nicht anders gegangen :   wir hatten es auch nicht für möglich gehalten, ein Grand Mal zu verhüten und ich habe es trotzdem hingekriegt.

Die Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Anfälle

Meine Fähigkeit, Grand-Mal-Anfälle zu verhüten, hatte enorme Auswirkungen auf den weiteren Verlauf. Wie oben schon berichtet waren es vor jenem Tag sehr viele Anfälle täglich. Seit es gelungen war, den ersten Grand Mal-Anfall zu verhüten, ging die Anfallshäufigkeit mit der Verhütung jeder weiteren sekundären Generalisierung zum Grand-Mal stetig zurück :  von im Mittel 16 fokalen Anfällen pro Tag auf im Mittel 2 pro Tag – ein ungeahnter Aufschwung für die Lebensqualität! Und diese verbliebenen kleinen Anfälle kann ich zuverlässig innerhalb von Sekunden beenden, so dass Außenstehende fast nie etwas davon mitbekommen.

Mit jedem abgebrochenen kleinen komplex-fokalen Anfall sinkt das Anfallsrisiko weiterhin. Das beobachten wir seit langem. Sonst wäre der enorme Rückgang der Anfälle nicht möglich gewesen. Dies ist jetzt der Stand unserer Aufzeichnungen vom Juni 2006 bis zum 31. März 2011. Auf Dauer halten wir daher das vollständige Verschwinden der Anfälle für möglich. Und dies ohne jegliche Medikation (mehr dazu weiter unten).

Die derzeit noch verbliebenen Anfälle betrachten wir als Residualsymptomatik einer vermutlich zugrundeliegenden organischen Disposition. Wenn es entsprechend gängiger Epilepsiemodelle tatsächlich so etwas wie  Pacemakerzellen gibt, die epileptische Signale aussenden und die ihre Zellumgebung zu ebensolcher Aktivität „einladen“, dann kann offenbar weder eine medikamentöse, noch eine psychologische Behandlung etwas an deren Existenz ändern. (Sie können dann allenfalls durch einen chirurgischen Eingriff entfernt werden, unter bestimmten Voraussetzungen und mit all den damit verbundenen Risiken.) Das bedeutet, dass durch die bleibende Aktivität der Pacemaker ein Restrisiko für ein erneutes Auftreten von Anfällen bestehen bleibt. Dann hat man mehrere Optionen :  

  1. Falls Medikamente die gewünschte Wirkung zeigen, nimmt man sie ein Leben lang ein, denn die Rückfallquote bei rein medikamentöser Behandlung ist nach deren Absetzen beträchtlich.

  2. Falls man nicht über lange Zeiträume Antiepileptika einnehmen will oder sie wegen zu starker Nebenwirkungen absetzen will, kann man mit psychologischen Maßnahmen dem Rückfallrisiko vorbeugen.

  3. Falls Medikamente nicht ausreichend wirken, kann man eine Kombination von Medikamenten und psychologischen Maßnahmen wählen.

  4. Falls Medikamente überhaupt nicht wirken oder man keine Medikamente einnehmen will, kann man alternativ psychologische Methoden einsetzen.

Es gibt allerdings einige entscheidende Unterschiede. Der Knackpunkt ist, ob die Erzielung des gewünschten Ergebnisses in den eigenen Händen liegt oder nicht.

Wir wissen nicht, wie das bei Ihnen ist. Uns jedenfalls geht es in mehrfacher Hinsicht völlig unterschiedlich, je nachdem, ob einer die Lösung eines Problems aus eigener Kraft und Initiative erreicht oder durch eine Maßnahme von außen bzw. durch die chemische Wirkung eines Medikaments. Unser Gefühl von Sicherheit ist im ersten Fall entschieden größer, denn die eigenen Fähigkeiten stehen einem garantiert in jedem Augenblick zur Verfügung, sobald sie zur eingeschliffenen Routine geworden sind. Was die Epilepsie betrifft :   So fühle ich mich nicht mehr als Opfer, sondern als Mitgestalter dessen, was passiert. Es liegt auf der Hand, was besser ist für das Selbstwertgefühl und das Erleben der eigenen Freiheit und Kompetenz.

Ich will mich auch nicht auf Dauer den Nebenwirkungen und Risiken eines Medikaments aussetzen. Ich will mich ebenfalls nicht auf Dauer von einem „Gesundheitssystem“ abhängig machen, das der Solidargemeinschaft ständig höhere Zwangsbeiträge abpresst bei gleichzeitiger Verschlechterung der Leistungen und mit völlig neuartigen Risiken; z.B. der Zunahme gefälschter Medikamente ohne Wirkstoff, Operationen mit ungereinigten chirurgischen Instrumenten, sowie die zunehmende Streichung wichtiger medizinischer Leistungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Wer kann vorhersehen, ob dies nicht auch eines Tages die Antiepileptika trifft? Zumindest die Zuzahlungen für die gesetzlich Versicherten könnten auch hier ansteigen, um die enormen Kosten für die Kassen zu reduzieren. Immerhin verursachen Antiepileptika in Deutschland jährlich Kosten von über einer dreiviertel Milliarde Euro.

Zurück zum Ergebnis unserer Arbeit an der Epilepsie.

Im Vergleich zu früher macht das Erreichte einen himmelweiten Unterschied aus. Wir können uns beide mit den kleineren Einschränkungen durch die verbliebenen Anfallsreste im Privaten wie in der Arbeit gut arrangieren. Klienten, die gelegentlich fokale Anfälle mitbekommen haben, nahmen es mit Humor als sie sahen, dass wir es mit Humor nehmen. Die jetzigen Anfälle beginnen so, wie oben in „Der Sog“ beschrieben. Im Gegensatz zu früher kann ich sie jetzt aber blitzschnell abbrechen, ehe sie die Chance erhalten, sich weiter über das Gehirn auszubreiten. Daher enden sie fast immer nach wenigen Sekunden. Natürlich experimentiere ich ständig mit weiteren psychologischen Einflussmöglichkeiten und parallel dazu habe ich am 05.05.2011 meine Medikation (nach zuletzt 25 mg/Tag Lamotrigin) vollständig abgesetzt. Ich verhüte jetzt meine Grand-Mal-Anfälle rein mit psychologischen Methoden. Über meine Erfahrungen und Aufzeichnungen vor, während und nach dem Absetzen werde ich an anderer Stelle noch berichten.

Vier Wochen seit dem vollständigen Absetzen des Antiepileptikums gibt es für mich zum ersten Mal nach Jahren wieder Nächte, in denen ich mehrere Stunden am Stück durchschlafen kann. Die häufige Benommenheit, die ständigen Gangunsicherheiten und der Schwindel sind weg. Ich kann jetzt wieder auf einem Bein stehen ohne umzukippen. Ich torkle nicht mehr herum wie ein Clown, wenn ich mir Socken oder eine Hose anziehen will. Ich kann wieder in normalem Tempo Treppen nach unten gehen ohne ständig über die Stufen zu stolpern. Und ich kann endlich wieder freihand fotografieren ohne die meisten Bilder zu verwackeln.

Ergebnis :   Das Fundament erfolgreicher Anfallsverhütung

Aus früheren Situationen in der Anfangsphase der Anfallsverhütung sind mir die Situationen, in denen der Ausgang auf Messers Schneide stand (siehe oben in „Die Verschlimmerung“) in lebhafter Erinnerung. Sie bilden lehrreiche Erfahrungen, denn meiner Frau und mir sind dadurch zwei Dinge klar geworden :  

  1. Anfallsverhütung ist ohne eine konsequente Entschlossenheit und aktives Engagement wohl kaum möglich. Man muß beherzt eingreifen. Beispiele für beherztes Eingreifen mit festem Willen kennt jeder. Jeder kennt auch mindestens ein Beispiel aus seinem Leben dafür, dass der Wille entgegen großer Hindernisse Berge versetzen kann, d.h. Ergebnisse zu bewirken vermag, die man zuvor nicht für möglich gehalten hat. Wille als Ausdruck der Autonomie ist in jedem Menschen vorhanden. Die Stärkung des Willens, der persönlichen Vision, Entschlusskraft und Beharrlichkeit ist jederzeit möglich und uns stehen diverse Methoden zur Verfügung, dies alles zu trainieren.

  2. Bei weiter bestehenden Anfällen, aber auch bei erreichter Anfallsfreiheit ist ständige Wachsamkeit und Einsatzbereitschaft für die Anfallsverhütung unerlässlich. Durch zunehmende Praxis kann man sie allerdings zu einer fast automatischen Routine machen, die man oft schneller als erwartet mit traumwandlerischer Leichtigkeit beherrscht. Diese Achtsamkeit hat übrigens durchaus erfreuliche Auswirkungen. Man ist nicht nur bewusster im Hinblick auf Risiken und Gefahren, sondern die Bewusstheit erhöht sich gleichermaßen auch für das Erleben der schönen Lebensmomente.

Unterwerfung unter die Biologie oder freier Wille?

Die vielfach wiederholte Erfahrung, auch während einer zunehmenden Verschlimmerung der fokalen Symptomatik das bevorstehende Grand Mal verhüten zu können, zeigt folgendes :   Wenn man in einer derartig desolaten Situation durch seine Entschiedenheit und Beharrlichkeit, kurz :   durch seinen Willen, einen solchen Durchbruch bewirken kann, dann, so sagten wir uns, muss es auch für andere Menschen mit epileptischen Anfällen möglich sein, solche Gestaltungsmöglichkeiten für sich zu entwickeln. Dabei müssten sie natürlich ihre ganz eigenen ihnen gemäßen Wege finden. Für den Erfolg sind jedoch ein systematisches Vorgehen und die Kenntnis bestimmter Wirkfaktoren äußerst wichtig, sodass eine zumindest kurzfristige psychologische Beratung oder eine Unterstützung in Form eines Coachings ausschlaggebend sein kann.

Unsere eigenen Erfahrungen überzeugten uns von der Richtigkeit dieses Weges und wurden zum Ansporn für einen Arbeitsauftrag, den wir seither konsequent auch mit anderen Betroffenen weiter verfolgen.

Wie wohl viele Menschen mit epileptischen Anfällen (insbesondere, wenn eine körperliche Ursache dafür bekannt ist), hatten wir anfangs psychologische Einflussmöglichkeiten lediglich für die Verbesserung einiger Umfeldbedingungen (z.B. Ermittlung persönlicher Risikofaktoren und verbesserter Umgang damit, Schutzmaßnahmen gegen Verletzungen im Anfall, regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus) für möglich gehalten. Entsprechend der Sichtweise der behandelnden Fachärzte hatten auch wir bei einer dramatischen Verschlimmerung der fokalen Symptomatik den Eintritt eines Grand Mals für das Ergebnis eines unbeeinflussbaren rein neurophysiologischen Mechanismus gehalten und kamen folglich zunächst nicht auf die Idee, dass epileptische Anfälle abgebrochen bzw. Grand Mal-Anfälle systematisch durch Eigeninitiative verhindert werden könnten. Nachdem wir es allerdings geschafft hatten, zahlreiche fokale Anfälle schnell nach ihrem Beginn, zumindest aber vor ihrer Ausbreitung über das Gehirn rein mit angewandter Psychologie abzubrechen, begannen wir erneut und diesmal sehr gründlich zu recherchieren. Wir stießen auf die schon lange existierenden verhaltenspsychologischen Ansätze der Anfallsselbstkontrolle, auf psychoanalytische Ansätze und auf andere Angebote, ergänzend oder alternativ zur medizinischen Behandlung.

Wir bauen unsere Arbeit zur Anfallsverhütung auf dem auf, was wir, ausgehend von der humanistischen Psychologie, in jahrzehntelanger Arbeit mit Menschen entwickelt haben. Ein Kerngedanke in unserer Arbeit ist der, dass wir Menschen nicht unausweichlich das Produkt unserer Lebensumstände, unseres Körpers und seiner Gene, unserer Erziehung oder irgendwelcher Reiz-Reaktions-Mechanismen sind; sondern dass wir immer Gestaltungsmöglichkeiten haben, wenn wir unseren freien Willen einsetzen, Entscheidungen für uns fällen und diesen folgen und konsequent am Ball bleiben. Dies gilt nicht nur für die Beeinflussung psychischer Prozesse in Richtung auf ein gewünschtes Ziel, sondern ebenso auch für einen hilfreichen Umgang mit körperlichen Problemen aller Art. In unserer Arbeit nutzen wir insbesondere auch unsere Erfahrungen aus der Arbeit mit Klienten, deren Thematik sowohl eine somatische als auch eine psychische Seite hat.

Dabei sind wir uns durchaus bewusst, dass es eine Reihe auch bei Fachleuten verbreiteter Vorurteile zum Thema „Anfälle und Psychologie“ gibt. Mehr darüber finden Sie auf unseren Seiten „Chancen und Ziele unseres Coachings bei Epilepsie“ und „Unsere Arbeitsweise“.

Über das Erlernen bzw. das Verlernen epileptischer Anfallsmuster berichten wir auf unserer Seite „Epileptische Anfallsmuster werden gelernt“.

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